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 zuletzt bearbeitet: Wed, 22 Mar 2023 13:15:32 +0100
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Aus einem Artikel, für den ich im November 2022 interviewt worden bin.
„Fest oder frei: Zwei Erfahrungsberichte"
Angestellt mit geregelten Arbeitszeiten und festem Gehalt – oder doch lieber ein Unternehmen gründen oder es als Solo-Selbstständige versuchen? Viele Gründe sprechen für eine Selbstständigkeit in der Medienbranche, aber wahrscheinlich ebenso viele dagegen. Wir haben mit zwei Menschen gesprochen, die beide Seiten kennen. Sie haben uns erzählt, wie sie den Weg in die Selbstständigkeit gefunden haben – und warum sie selbstständig bleiben beziehungsweise doch wieder in die Festanstellung gehen.
14. Dezember 2022 von Betina Erdmann, Sarah Schaefer

Ralf Berger (59) hat sich aus der Not heraus selbstständig gemacht. Doch er bereut diesen Schritt nicht, auch wenn er nicht üppig verdient. Eine Sache fehlt ihm: mehr Kontakt zu anderen Solo-Selbstständigen.

Ich habe mich 2009 als Internetdienstleister selbstständig gemacht und biete Webhosting, Webdesign und Webmarketing an. Geplant war das nicht: In die Selbstständigkeit bin ich aus der Not heraus gekommen. Ich habe lange als Fernmeldehandwerker gearbeitet, erst bei der Bundespost, dann bei der Telekom. 2006 gab es ein großes Abfindungsangebot bei der Telekom. Die Höhe der Abfindung war sehr attraktiv – ich habe es angenommen und das Unternehmen verlassen.
Ralf Berger Foto: privat

Zu diesem Zeitpunkt war ich schon über 40. Ich habe mich auf dem Stellenmarkt umgeschaut, aber mein Eindruck war, dass es für mein Alter keine Festanstellung gibt, in der ich mich weiterentwickeln kann. Also habe ich mich relativ spontan selbstständig gemacht.

Ich unterstütze meine Kunden dabei, im Internet sichtbar zu werden. Eine Kundin von mir ist zum Beispiel eine Frau aus meiner Region, die sich ein zweites Standbein als Schinken-Sommelière aufbaut. Ich habe ihr einen Internetauftritt eingerichtet, den sie nun selbst pflegt. Manchmal betreue ich auch Seiten komplett, das heißt, ich stelle neue Beiträge und Fotos ein und halte die Seite aktuell. Für manche Kunden bin ich Ansprechpartner im Notfall, also wenn etwas mit dem Auftritt nicht funktioniert.

Ich finde meine Kunden überwiegend über Portale, auf denen Freelancer ihre Arbeit anbieten. Manchmal aber auch über private Kontakte. Für mich funktioniert das sehr gut.

Zu Beginn der Selbstständigkeit habe ich auch schlechte Erfahrungen gemacht – zum Beispiel mit einem Unternehmen, das plötzlich pleitegegangen ist und meine Rechnungen nicht bezahlt hat. Mittlerweile kann ich gut abschätzen, wann ein Kunde es ernst meint und wann nicht. Ich investiere keine Zeit mehr in ein Projekt, bevor ich nicht sicher bin, dass auch etwas daraus wird. Das bedeutet: Ich führe Kennlerngespräche, in denen ich über meine Leistungen informiere. Danach mache ich ein Angebot, lege das Projekt aber beiseite, bis eine seriöse Zusage kommt.

Von dem, was ich verdiene, kann ich einigermaßen leben, aber reich werde ich davon nicht. Es ist gut, dass meine Frau als Lehrerin einen sicheren und gut bezahlten Job hat, sonst müsste ich mich wohl anders aufstellen.

Zurück in die Festanstellung zu gehen, kommt für mich nicht infrage. Ich finde es gut, dass ich als Selbstständiger flexibel bin und mir meine Aufträge gut einteilen kann. Wenn wenig los ist, zum Beispiel im Sommer, nehme ich mir auch mal vier Wochen frei, um mich fortzubilden – das wäre in einer Festanstellung kaum möglich.

Ich stelle immer wieder fest, dass ich in meiner Region im Münsterland und mit meinen Leistungen eine richtige Rarität bin. Viele Selbstständige gibt es in meiner Branche anscheinend nicht, und wenn, dann vor allem in den großen Städten. Der Vorteil ist natürlich, dass potenzielle Kunden schnell bei mir landen, wenn sie mit einem Anbieter aus ihrer Region zusammenarbeiten möchten.

Was ich schade finde, ist, dass die Selbstständigen sich so wenig gewerkschaftlich vernetzen. Ich bin seit vier Jahren in der ver.di-Landeskommission der Selbstständigen in NRW und merke, dass das Interesse, Netzwerke aufzubauen, sehr gering ist. Für mich persönlich ist es sehr wichtig, einen engen Kontakt zu den anderen Solos zu halten – als Selbstständiger ist man ja schon oft genug Einzelkämpfer.

Protokolliert von Sarah Schaefer